«Mein Bienenvolk, wie geht es Dir im April?»
« Der April ist ein strenger Monat. Vielleicht der Monat, an dem ich am ehesten an die Grenzen meiner Kräfte stosse. Der ganze Wechsel meines Bienenkörpers ist anstrengend, die Winterbienen sind am Verschwinden. Noch im März waren sie die tragenden Kräfte, doch sie müssen ersetzt werden für einen kontinuierlichen Aufbau. Jetzt bilden die jungen Sommerbienen das Volk und diese sollen noch mehr werden. Ich möchte viel Brut anlegen, um das anstehende Wachstum der Bienenpopulation auf die Vollentwicklung hin zu sichern. Und zu dieser Vollentwicklung gehören auch die Drohnen. Es ist mein Anliegen, den männlichen Teil des Bienenvolkes dabeizuhaben, als eil des ganzen Volkes und für unsere Harmonie.»
«Wie erfolgt die Erweiterung des Brutnestes?»
«Die Brut kann mal früher oder später einsetzen. Doch schon in der Winterkugel pflegen wir die erste Brut. Unser Brutnest hat grundsätzlich einen kugeligen Aufbau. Dieser hat im Januar etwa die Grösse eines Pingpongballs, eines Tennisballs im Februar, einer Grapefruit im März und ist schon fussballgross im April. Spätestens von diesem Moment an geben wir unsere geschätzte Kugelform auf, weil wir an die Kastenwände gelangen und dennoch weiter wachsen wollen. Es gilt, kontinuierlich Wabenfläche um die Brutkugel herum freizulegen und brutbereit zu machen. Die Königin bewegt sich auf dieser Kugel rundum und legt Eier als ihren Beitrag zur Bruterweiterung. Dieser Frühjahrsaufbau fordert uns auf vielfältige Weise, denn neben der Erweiterung wartet viel offene Brut auf Futter, das ganze Brutnest braucht Wärme und die Brutgesundheit gilt es fortlaufend, in allen Stadien zu überprüfen. Unsere Brutpflege ist zudem mit einem grossen Wasserbedarf verbunden und dies bei jedem Wetter. Wasserträgerinnen verlieren wir in der Kälte, weil sie von ihrer riskanten Tour oft nicht mehr nach Hause kommen. Gleichzeitig starten bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Flugbienen zu ihren Blüten, um Nektar und Pollen einzutragen. Die sich öffnende Blütenwelt gibt uns den nötigen Schub für die Volksentfaltung. Die Aufgaben sind enorm vielfältig. Wir geben alles, um bereit zu sein, damit wir aus der kommenden Frühlingsblüte eine reichliche Versorgung erarbeiten können. Es stört mich, wenn dann die Imker das Gefühl haben, das Bienenvolk sei etwas träge und es könne nachgeholfen werden mit Mittelwänden und Waben im Brutnest. Wir haben kaum Reserven, um imkerliche ‹Fördermassnahmen› abzufedern – wir sind mit unserm Ausbau voll ausgelastet.»
«Was würde Dir denn helfen?»
«Von Seite der Imkerschaft bin ich einfach froh, wenn diese sich zurückhält und grobe Eingriffe vermeidet. Sicher ist es gut, wenn einmal im Frühling mein Vorratspolster überprüft wird. Und dann geht es nicht mehr so lange bis erweitert werden kann, denn in dieser blütenreichen Zeit werde ich gerne noch stärker. Der Mensch kann jedoch keinen Einfluss auf mein Wachstum nehmen, das Wetter hingegen schon. Gerade im April kann dieses recht garstig sein. Die Brut erfordert laufend einen grossen Anteil an Frischpollen und frisch eingelagerten Pollen. In Pollenbrettern des Vorjahres ist zu wenig Leben drin. Und so kann es vorkommen, dass bei länger anhaltenden Schlechtwetterperioden der Pollen zur Brutaufzucht fehlt. Dann legt die Königin zwar noch fleissig Eier, aber die Bienen, die entscheiden müssen, was wirklich versorgt werden kann, räumen diese Eier wieder aus und damit bleibt die Brutnesterweiterung aus. Für eine rasche Brutentwicklung ist schönes Wetter hilfreich.»
«Brutkrankheiten treten vermehrt im Frühling auf. Kannst Du etwas zu Bienenkrankheiten sagen?»
«Die Dynamik unserer Brutausdehnung legt nahe, dass es in dieser Zeit schwierig ist für uns, hygienisch alles unter Kontrolle zu halten. So ist diese Frühlingszeit der Moment, wo eine schon verdeckt vorhanden Krankheit anhand von Symptomen sichtbar wird. Doch grundsätzlich kann ich zu den Krankheiten schon etwas sagen. Gesundheit ist schön für alle, aber sie ist nicht einfach nur gegeben. Krankheiten haben einen Sinn und eine Bedeutung, sie bringen uns und die Imkerschaft weiter. Stellen wir uns einmal vor, wir könnten uns wünschen, dass das Bienenvolk für die nächsten hundert Jahre von Krankheiten grundsätzlich befreit wäre. Lieber nicht! Dann würden viele unserer Fähigkeiten der Krankheitsabwehr so nach und nach einschlafen und verloren gehen. Wir müssten gar nicht mehr aufpassen! Das wäre ein kurzfristiges Paradies! Wenn dann die Krankheiten wieder hier wären, dann hätten wir überhaupt keine Übung mehr in der Abwehr und wir würden alle an der ersten eintretenden Krankheit zugrunde gehen. Krankheiten sind Herausforderungen für unsern Organismus, wir sind aber ständig bereit, Keime aller Art abzuwehren. Unsere verschiedenen Ebenen des Immunsystems werden so in Übung gehalten. Und wenn dann doch eine Krankheit da ist, die das Volk schädigt, so hat dieses Volk in der Natur weniger Überlebenschancen. Doch das eine oder andere Volk hat sich erfolgreich dagegen gewehrt und als Gemeinschaft der Bienenvölker haben wir immer überlebt. Unsere Gesundheit ist nicht mehr nur von uns abhängig. Die Imkersleute sind auch da und bestimmen viel. Oftmals sind sie mit ihrer Art zu imkern gar die Krankheitsüberträger! Da wünschte ich mir einfach einen andern Umgang! Denn letztlich leiden wir alle, wenn bei unheilbaren Krankheiten Völker abgetötet werden. Das ist nicht nur für die einzelnen Imker/innen schmerzhaft. Von meiner Seite her bin ich lernfähig, ich bemühe mich, meine Fähigkeiten in der Abwehrbereitschaft aufzufrischen. Doch wir wünschen auch eine Imkerschaft, die sich wandelt und bemüht, die eine vorsichtigere Arbeitsweise an den Tag legt ... Dies ist oft auch bienengemässer. Das hat der Wandel in der Bienenhaltung in den letzten 15 Jahren mit der Sauerbrut gezeigt: Man gibt sich Mühe, uns saubere Kästen anzubieten, unser Wabenkörper wird eher respektiert, es wird weniger Material vom einen Volk entnommen und in ein anderes geschoben. Die Völkerzahl auf einem Bienenstand hat im Schnitt abgenommen. Das sind alles Massnahmen, welche zu unserem Wohlbefinden beitragen.» «Wenn wir kurz auf die kommende Imkerzeit vorausblicken, was sind Deine Anliegen an die Imkerschaft?»
«Ich möchte gerne ernst genommen werden, so wie ich bin. Ich habe schon gesagt, dass ich gerne in der Obhut des Menschen bin und mich da arrangieren kann. Es geht nicht darum, dass ich mich nur als einzelnes Bienenvolk in der Weite der Natur wohlfühle. Doch wenn ich die Gelegenheit erhalte, möchte ich Anregung geben, wo und wie wir Bienenvölker in unserem Sein gestärkt werden können. Mein Wunsch ist es, vermehrt mein Leben führen zu können. Ich wünsche mir, dass mein Körper als Ganzes gesehen wird und ich in meinen Entscheiden ernst genommen werde. Diese meine Ideale sind für die Imkerschaft nicht immer einfach nachzuvollziehen, weil da auch etwas von der imkerlichen Kontrolle über mich abgegeben wird. Konkrete Beispiele kann ich nicht einfach an dieser Stelle darlegen, dafür brauchen wir Platz und Zeit. Doch wenn wir mit diesem Dialog weiterfahren, bin ich gerne bereit, mich zu den verschiedensten Themen zu äussern. So beispielsweise zum Schwarmtrieb, zum Wabenbau, zum Umgang mit der Varroa oder auch zum Blütenbedarf eines Bienenvolkes.» Martin Dettli führte diesen Diskurs mit dem Bienenvolk.
Beitrag aus de Schweizer Bienenzeitung 04/2014
FOTO: FRANZ-XAVER DILLIER und MARTIN DETTL